Die russische Community in NRW und das Kriegsende
Aktuelle Stunde . 09.05.2025. 17:58 Min.. UT. Verfügbar bis 09.05.2027. WDR. Von Meike Hendriksen.
Spaltet der Ukraine-Krieg die russischsprachige Community in NRW?
Stand: 09.05.2025, 20:46 Uhr
Putin hat am Freitag in Moskau mit einer großen Militärparade den "Tag des Sieges" gefeiert. Für die russischsprachige Community in NRW hat das Spaltpotenzial.
Wie feiert man den Sieg über Nazi-Deutschland, während Russland als Rechtsnachfolger der Sowjetunion als eine der Siegermächte seit mehr als drei Jahren einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg in der Ukraine führt? Diese Frage hat sich Jakov Barasch als Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Bonn gestellt und mit dem hebräischen Segenswunsch "Le Chaim" eine klare Antwort gefunden.
In der Jüdischen Gemeinde Bonn feiern Russen und Ukrainer zusammen
Der Seniorenclub hat sich bereits am Donnerstag, also einen Tag vor der Militärparade von Kremlchef Wladimir Putin in Moskau, getroffen, um seiner Toten zu gedenken und "Auf das Leben" anzustoßen. Barasch geht in der Übersetzung aber noch einen Schritt weiter und betont, dass man mit "Le Chaim" auch "auf den Frieden" anstoße.
Wir treffen uns gemeinsam, um zu gedenken, zu erinnern, uns zu freuen, dass unsere Verwandten, unsere Liebsten heimgekehrt sind. Jakov Barasch, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Bonn
Denn so unterschiedlich man den Angriff Russlands auf die Ukraine sehen mag, der Wunsch nach Frieden ist unter den Männern des Seniorenclubs Konsens. Trotzdem hat der aktuelle Krieg Spaltpotenzial. Die Senioren, die Angehörige im 2. Weltkrieg verloren haben, stammen zwar alle - wie 90 Prozent der heute in Deutschland lebenden Juden - aus der ehemaligen Sowjetunion, dort aber eben aus Russland und der Ukraine.
Ukraine-Krieg in russischer Familie kein Thema

Die Jüdische Gemeinde Bonn feiert das Ende des 2. Weltkriegs.
Deswegen geht es auf der Feier ausschließlich um den vergangenen und nicht den aktuellen Krieg. Vergilbte Familienfotos und die Orden der Väter werden gezeigt. Der Krieg in der Ukraine sei am Tisch "kein Thema", sagt einer der Männer, der aus Sankt Petersburg stammt. Als Juden schaue man eher darauf, was im Gaza-Streifen geschehe. Er selbst kenne aber viele Ukrainer und halte den Krieg für eine "Tragödie" und bezeichnet Putins Parade als "Karneval". Ein anderes Gemeindemitglied betont, dass das Volk das Recht habe mit einer Parade zu feiern. Zu diesem Volk hätten in der Sowjetunion allerdings auch Ukrainer gehört.
Der in Russland geboren, aber mittlerweile in Köln lebende Grafik-Designer Max Gede sieht den 9. Mai sehr kritisch. Der "Tag des Sieges" spalte die russischsprachige Community. Das merke er schon in seiner eigenen Familie, wo er jedes Mal "losweinen" könne, wenn er mit ihnen über den aktuellen Krieg spreche.
Darüber sprechen wir nicht - über die Politik. Max Gede redet mit seiner Familie nicht über den Ukraine-Krieg
Allerdings gehe das seiner Familie nicht anders. Deswegen spare man das Thema weitgehend aus und wahre so den Familienfrieden: "Da ist sehr viel Liebe und sehr viel Geschichte miteinander, die passiert ist. Die kann man nicht über Bord werfen wegen Putin."
Das scheint auch die Taktik zu sein, mit der die Gemeindemitglieder in Bonn ihren Zusammenhalt pflegen. Einer der jüngeren Teilnehmer der Feier, der in der Ukraine geboren ist und im 2. Weltkrieg seinen Opa und dessen Bruder verloren hat, betrachtet die Kriege als "zwei verschiedene Baustellen". Über den aktuellen Krieg gebe es "keine Diskussion".
Für Max Gede ist der 8. Mai als "Mahnmal" wichtig

Max Gede
Für Gede, der seit 25 Jahren in Deutschland lebt und eigene Veranstaltungen zum Thema Krieg und Russland organisiert, ist der aktuelle Krieg entscheidend, weshalb der "Tag des Sieges" für ihn keine große Rolle mehr spiele. "Das hat sich durch die Zeit gewandelt." Als er gerade in Deutschland war, habe er die Feierlichkeiten noch mit seiner Familie im russischsprachigen Fernsehen verfolgt. Russland habe für ihn aber zunehmend an Bedeutung verloren, weil "ich die Gelegenheit bekommen habe, das aus anderen Perspektiven zu sehen". Den Tag habe er indes nie ideologisch, immer nur als Sieg über den Faschismus gefeiert.
Der 8. Mai spielt eine Rolle - eine sehr wichtige. Und zwar als Mahnmal, dass sich das nie wieder wiederholen soll. Max Gede
Das könne man nach wie vor feiern, doch für ihn gebe es heute nur noch den 8. Mai, und das ist entweder der "Tag der Befreiung", der "Tag der bedingungslosen Kapitulation" oder der "Tag des Ende des Krieges": "Der 9. Mai spielt in meinem Leben keine Rolle mehr."
Juden aus der ehemaligen Sowjetunion sehen sich als Sieger
Dass Putin den Angriffskrieg in der Ukraine als Fortführung des Kampfes gegen den Faschismus instrumentalisiere, mache ihn "sehr wütend": "Das ist Vereinnahmung von etwas, das dem gar nicht gehört", so Gede. Aber selbst unter jenen in der russischsprachigen Community, die den 9. Mai feiern, sieht Gede keine einheitliche Meinung. Auch da werde gestritten. Narrative wie das eines Kampfes gegen den Faschismus in der Ukraine gebe es zwar, aber selbst unter "pro-russischen Menschen" werde darüber gestritten.
Streit ist genau das, was in der Jüdischen Gemeinde in Bonn vermieden wird. Politik ist als Thema weitgehend tabu, weil man bewusst die Gemeinsamkeiten betont. Eine dieser Gemeinsamkeiten ist, dass die Mitglieder des Seniorenclubs zwar Juden sind, sich deswegen bei den Feiern am 8. Mai jedoch nicht als Befreite fühlen. Als Juden aus der Sowjetunion, deren Väter und Großväter gegen Nazi-Deutschland gekämpft haben, sehen sie sich nicht als Opfer des Nationalsozialismus, sondern als Sieger. Als solche betrachten sie vergilbte Bilder und Orden, ohne dabei über den Ukraine-Krieg zu reden.
Unsere Quellen:
- Besuch der Jüdischen Gemeinde in Bonn
- Gespräch mit Max Gede