Missbrauchsvorwürfe in Kirche: Bericht sieht Kurschus-Rolle kritisch

Eine unabhängige Unternehmensberatung hat die Missbrauchsvorwürfe in einer Evangelischen Kirchengemeinde in Siegen überprüft. Sie sieht auch die Rolle der früheren EKD-Präses Annette Kurschus kritisch.

Stand: 15.05.2025, 17:05 Uhr

Kreuz auf einem Wörterbuch mit dem Wort Missbrauch, Symbolfoto

Im Zentrum der Vorwürfe steht ein ehemaliger Siegener Kirchenmitarbeiter: Er soll von den 1980er-Jahren über zwei Jahrzehnte mit mehreren Jungen und jungen Männern sexuelle Kontakte gehabt haben. Passiert sein soll das Ganze beim Unterricht. Die Opfer sollen zum Tatzeitpunkt teilweise minderjährig gewesen sein.

Evangelische Kirche gab Untersuchung in Auftrag

Die Unternehmensberatungsfirma Deloitte hat den Fall nun genauer untersucht - im Auftrag der Evangelischen Kirche von Westfalen. Dem Deloitte-Bericht zufolge soll die damalige EKD-Präses Annette Kurschus - früher selbst Pfarrerin in Siegen - im Oktober 2022 von einer Gemeindepfarrerin über die Vorfälle informiert worden sein.

Diese Information hätte sie - so der Bericht - sofort an die Meldestelle der Evangelischen Kirche von Westfalen weitergeben müssen. Das erfolgte jedoch erst ein halbes Jahr später, an anderer Stelle. Da eröffnet der damalige Superintendent ein so genanntes "Interventionsverfahren" bei der Kirche und schaltet die Staatsanwaltschaft ein.

Kurschus trat unter Druck zurück

Es habe in der Kommunikation einen Mangel an Transparenz gegeben, der zu hohem medialen Druck und fehlenden Rückhalt innerhalb der kirchlichen Gremien geführt habe - und damit letztlich zum Rücktritt von Kurschus von allen Ämtern.

EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus spricht bei einer persönlichen Erklärung zum Vorwurf von sexuell übergriffigem Verhalten eines früheren Kirchenmitarbeiters.

Annette Kurschus trat im November 2023 als Präses der EKD zurück

Sie begründete das mit einem öffentlichen Vertrauensverlust, betonte aber zugleich, sie sei in der Sache mit sich im Reinen: "Ich habe zu jeder Zeit nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt.

Keine Belege für "unmittelbares Fehlverhalten" in den 90ern

Die Untersuchung hat keine Belege für unmittelbares Fehlverhalten von Kurschus in ihrer Zeit als Siegener Pfarrerin und Superintendentin in den 90er-Jahren feststellen können. Das Unternehmen empfiehlt in seinem Ergebnisbericht allerdings, das Verhalten der damaligen Dienstvorsitzenden im Kirchenkreis juristisch zu überprüfen.

Aus dem Bericht von Deloitte geht auch hervor, dass der ehemalige Lehrer in zwei Fällen ein "sexuelles Näheverhältnis" sowie sexuelle Kontakte eingeräumt habe. Sieben Betroffene hatten sich gemeldet. Ihnen war bereits gestern der Bericht vorgelegt worden.

Erleichterung bei Betroffenen

Zwei von ihnen waren gekommen, um sich die Ergebnisse anzuhören. Es sei Erleichterung von Seiten der Betroffenen spürbar gewesen, heißt es von den Autoren des Berichts. Ein Mann habe gesagt: "Wir haben es nicht umsonst getan."

Der Vizepräsident der Evangelischen Kirche von Westfalen, Ulf Schlüter, sagte nach der Vorstellung des Berichts wörtlich: "Dass ein Mitarbeiter über Jahrzehnte so etwas tun konnte, ist ein Versagen der Evangelischen Kirche." Das Leid, das den Betroffenen zugefügt worden sei, lasse sich nicht wiedergutmachen.

Siegener Staatsanwaltschaft stellt Ermittlungen ein

Kirchturm vor Sonnenaufgang

Die Missbrauchsfälle sollen unter anderem in den 90er Jahren passiert sein

2023 hatten sich die Opfer an den Kirchenkreis Siegen-Wittgenstein gewandt und auf die Missbrauchsvorwürfe aufmerksam gemacht. Daraufhin nahm auch die Siegener Staatsanwaltschaft Ermittlungen auf.

In vier Fällen lag kein strafrechtlich relevantes Verhalten vor. In zwei anderen Fällen kam für die Staatsanwaltschaft ein Straftatbestand in Betracht. Die Fälle waren aber verjährt. Im April 2024 wurden die Ermittlungen deshalb eingestellt. Der Kirchenmitarbeiter ist mittlerweile in Rente.

Missbrauchsvorwürfe in Kirche: Bericht sieht Kurschus-Rolle kritisch

WDR Studios NRW 06.05.2025 00:58 Min. Verfügbar bis 06.05.2027 WDR Online


Insgesamt sind der Evangelischen Kirche von Westfalen seit 2022 115 Fälle von sexualisierter Gewalt gemeldet worden. In 31 Fällen hat die Kirche 390.000 Euro als Entschädigung an die Opfer gezahlt.

Unsere Quellen:

Korrektur:
In einer vorigen Version des Artikels haben wir geschrieben, dass in zwei Fällen eine Straftat festgestellt werden konnte. Das ist falsch. In den beiden Fällen kam für die Staatsanwaltschaft zwar ein Straftatbestand in Betracht, die Ermittlungen wurden aber eingestellt, weil die Fälle verjährt sind. Das haben wir im Artikel korrigiert. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.