Freie Theaterszene unter Druck: Land will Mindesthonorare

Westpol 18.05.2025 05:43 Min. UT DGS Verfügbar bis 18.05.2030 WDR

Freie Theater in NRW fürchten um ihre Zukunft

Stand: 16.05.2025, 12:00 Uhr

Die Landesregierung kürzt bei freien Theaterensembles um bis zu 50 Prozent. Die Szene ist in Aufruhr. Sie fürchtet einen "Kahlschlag".

Von Bernd NeuhausBernd NeuhausFelix MannheimFelix Mannheim

Das Theater Marabu in Bonn ist ein Aushängeschild für die NRW-Kultur. Internationale Gastspiele, regelmäßige Festival-Einladungen, wichtige Auszeichnungen. Doch noch immer spielen die Gründer des kleinen freien Theaters, Tina Jücker und Claus Overkamp, selbst Doppelvorstellungen für Schulklassen - gerade sind sie als Insekten-Punk-Band "Bad Bugs" unterwegs. Zusammen mit Gast-Schauspielerinnen und Schauspielern ermöglichen sie 100 Vorstellungen für Schülerinnen und Schüler in Bonn pro Jahr.

Theater sehen die Hälfte ihrer Vorstellungen bedroht

Portrait von Tina Jücker

Tina Jücker

Doch jetzt fürchten sie einen heftigen Einschnitt. Die Hälfte der Vorstellungen sei bedroht, sagt Tina Jücker. Denn einen solchen Eingriff in die freie Theaterszene, wie ihn die Landesregierung gerade plane, habe sie in 32 Jahren noch nicht erlebt. "Das ist definitiv das erste Mal, dass wir wirklich sprachlos sind, über die Entwicklung, die gerade passiert", sagt sie. Denn: Ab 2026 müssen freie Theater in NRW Mindestgagen für Gast-Schauspieler zahlen. Jücker war davon ausgegangen, dass dies durch erhöhte Etats gestützt wird. In ihrem Koalitionsvertrag hatte die Landesregierung noch mehr Förderung für die freie Theaterszene angekündigt. "Stattdessen geht das jetzt einher mit radikalen Kürzungen. Das ist unglaublich!", klagt Jücker.

Neue Mindestgagen und gleichzeitig Kürzungen

Zwei Vorhaben der Landesregierung versetzen die freie Theaterszene in Aufruhr: Die Festlegung von Mindestgagen für alle Bühnen, an deren Förderung das Land irgendwie beteiligt ist. Das trifft laut Landesbüro Freie Darstellende Künste auf etwa 35 freie Theaterhäuser zu, die zum Teil nur über sehr geringe Etats verfügen, zudem auch auf zahlreiche noch kleinere Strukturen und Ensembles. Die höheren Gagen ohne erhöhte Budgets kämen einer deutlichen Etatkürzung gleich, klagen sie. Es drohe der Wegfall vieler Vorstellungen oder sogar ein Ende mancher Bühnen.

Die Inszenierung Bad Bugs des Theater Marabu in Bonn. Auf der Bühne stehen Menschen in kostümen, Sie singen in Mikrofone und spielen Instrumente. Im Hintergrund steht Bad Bugs auf einer Wand.

Mit der Inszenierung "Bad Bugs" geht das Theater Marabu in Schulen. / Foto: Ursula Kaufmann / Theater Marabu

Und gleichzeitig reduziert das Land deutlich die "Spitzenförderung" freier Theatergruppen, die zum Teil mit den freien Bühnen kooperieren. Um etwa 50 Prozent soll hier gekürzt werden, bisher als "exzellent" und als Aushängeschilder NRWs gefeierte Ensembles müssen künftig mit deutlich weniger Geld auskommen – oder fallen ganz aus der Förderung. Das Landesbüro Freie Darstellende Künste fürchtet deshalb, dass "ein gewachsenes System irreparabel beschädigt wird". Die betroffenen Gruppen klagen: "Das Ministerium für Kultur beschließt den Kollaps der Freien Theaterszene".

Ministerin Ina Brandes im Verteidigungsmodus

NRW-Kulturministerin Ina Brandes bei einer Pressekonferenz.

Im Ausschuss für Kultur und Medien ist NRW-Kulturministerin Ina Brandes, CDU, deshalb am Donnerstag im Verteidigungsmodus. Viele Vertreter der freien Theaterszene sind im Landtag, so viele, dass nicht alle mit in den Ausschussraum können. Als die Ministerin betont, sie sei in einem guten Austausch mit der Szene, raunen sie ungläubig.

Ina Brandes gesteht ein, dass die Einschnitte schmerzlich seien – und begründet diese mit dem Sparzwang nach "drei Jahren Rezession". Dabei wehrt sie sich aber gegen den Begriff "Kahlschlag", sagt, sie sei mit Anpassungen bei der Förderung der freien Theaterszene und der Zusicherung von Übergangszahlungen bereits auf die Kritik eingegangen.

Opposition: "Angriff auf kulturelle Vielfalt in NRW"

Doch die Opposition sieht dies anders. Yvonne Gebauer, fachpolitische Sprecherin der FDP, beklagt, dass die Ministerin lange nicht mit den Theatermachern kommuniziert habe. Diese hätten nun kaum noch eine Chance, auf die Kürzungen zu reagieren. "Wenn man so vorgeht, nimmt man bewusst in Kauf, Strukturen unwiederbringlich zu zerstören", so Gebauer. Es drohe verloren zu gehen, was NRW bundesweit ausmache: "Das ist ein Angriff auf die kulturelle Vielfalt in NRW."

Andreas Bialas (SPD) beklagt zudem, dass die Ministerin versuche, die Theaterszene zu spalten – indem sie in kleinem Maße Gelder von freien Ensembles zu freien Kindertheatern umschichte. Sein Appell: "Tun Sie es nicht! Bleiben Sie beim bisherigen System!"

Künstler fürchten weniger Chancen für den Nachwuchs

Ein Mann steht auf einer Wiese. Er trägt eine gelbe Windjacke, eine Schutzbrille und Ohrenschutz. Vor ihm stehen sechs Kinder. Er erklärt ihnen etwas.

"Dr. Lafari ist weg!" vom freien Theaterensemble TOBOSO aus Essen

Im Essener Norden sorgt die freie Theatergruppe TOBOSO dafür, dass Kinder erste Theatererfahrungen sammeln können. Und Impulse bekommen für Zusammenhalt und Austausch, wo es besonders wichtig ist. Bisher bekam TOBOSO vom Land 80.000 Euro. Diese Förderung steht jetzt in Frage. Sollten sie weiter gefördert werden, dann mit weniger Geld - laut Ina Brandes im Ausschuss mit maximal 60.000 Euro. Aber es werden auch Kindertheater-Ensembles ganz rausfallen.

Fabian Sattler, seit 2013 der künstlerische Leiter von TOBOSO, berichtet, dass bereits mehrere Künstler wegen der Kürzungen und der neuen Unsicherheiten aufgegeben hätten. Er fürchtet um die Lebendigkeit der Kulturszene in NRW, weil es bei reduzierten Mitteln gerade junge, neue Künstlerinnen und Künstler immer schwerer hätten, gefördert zu werden. "Die Gefahr ist, dass die Szene dann von unten austrocknet, weil nichts mehr nachkommt", sagt er.

Die freien Theaterschaffenden in NRW, freie Bühnen und Ensembles: Sie fürchten um die Zukunft ihrer Szene, die bisher die Strahlkraft des Landes im Kulturbereich prägt.

Über dieses Thema berichtet auch das WDR-Fernsehen in der Sendung Westpol am 18.05.2025 um 19.30 Uhr.

Unsere Quellen:

  • Interviews mit den Leitungen verschiedener freier Ensembles und Theater
  • Ausschuss für Kultur und Medien, 15. Mai 2025, Landtag NRW
  • Stellungnahmen der betroffenen Bühnen und Gruppen
  • NRW Landesbüro Freie Darstellende Künste e.V.

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