Nach den Mafia-Morden von Duisburg schiebt ein Bestatter eine Trage mit einem Leichensack zum Leichenwagen, daneben steht ein Polizist

Wie kam es zu den Mafia-Morden von Duisburg? Experte erklärt Hintergründe

Duisburg | Verbrechen

Stand: 23.05.2025, 18:16 Uhr

2007 erschüttern die Mafia-Morde von Duisburg ganz Deutschland. Ein Mafia-Clan bringt sechs Mitglieder eines anderen Clans um. Wie kam die Gewalt aus Italien ins Ruhrgebiet? Und wie macht die Mafia dort bis heute Geld? Die Antworten gibt der Mafia-Experte Sandro Mattioli.

Von Hamzi Ismail

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Duisburg: Mafia mordet auf offener Straße

Mafiosi mit Schnellfeuerwaffen auf offener Straße, ein Kugelhagel, sechs Tote. Was wie eine Geschichte aus einem Gangster-Film klingt, spielte sich am frühen Morgen des 15. August 2007 in Duisburg ab. Es ist der Höhepunkt eines seit vielen Jahren andauernden Konflikts zweier italienischer Familienclans, die der kalabrischen Mafia 'Ndrangheta angehören.

Vorausgegangen waren Morde an Mitgliedern aus beiden Familienclans. Immer als Gegenreaktion auf eine vorherige Tat, immer aus Rache. Doch die Tat in Duisburg im Jahr 2007 stellt ein Novum dar. Denn zum ersten Mal wird der Konflikt nicht in Italien, sondern mitten in Deutschland ausgetragen. Mehr zu den Mafia-Morden in Duisburg gibt es bei WDR Lokalzeit Mordorte.

Im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen kommen nicht nur immer mehr Hintergründe zur Tat ans Licht, sondern auch Informationen zu den Strukturen und Machenschaften der 'Ndrangheta. In Zusammenarbeit mit italienischen Ermittlern beginnt für die Duisburger Kriminalpolizei eine akribische Fahndung nach den Verantwortlichen der Bluttat von Duisburg - mit Erfolg. Einige Jahre später endet die Ermittlungsarbeit mit der Verurteilung der Mörder sowie 16 weiterer Mafiosi aus den beiden verfeindeten Clans.

WDR-Autor Hamzi Ismail hat mit dem Mafia-Experten und Buchautor von "Germafia", Sandro Mattioli, über die 'Ndrangheta sowie ihre Machenschaften in NRW und Deutschland gesprochen.

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Die Hintergründe der Mafia-Morde

Lokalzeit: Was genau ist die 'Ndrangheta?

Sandro Mattioli: Sie ist eine sehr komplexe Mafia-Organisation. Sie ist im italienischen Kalabrien entstanden und besteht aus mehreren Familienclans. Die 'Ndrangheta zählt weltweit zu den mächtigsten Organisationen und agiert auf der ganzen Welt. Aufgrund verschiedener Geschäfte, vor allem des Kokainhandels, ist sie sehr reich geworden.

Mafia-Experte Sandro Mattioli während eines Interviews

Buchautor und Mafia-Experte Sandro Mattioli

Lokalzeit: Um welche beiden Familienclans ging es bei den Morden von Duisburg 2007?

Mattioli: Auf der einen Seite um den Clan Nirta-Strangio, auf der anderen Seite um den Clan Pelle-Vottari. Beide sind hochstehende Clans in der Gesamtorganisation der 'Ndrangheta, doch seit mehreren Jahren waren sie verfeindet.

Lokalzeit: Warum sind die zwei Clans verfeindet?

Mattioli: Die tiefer liegende Ursache ist aus meiner Sicht in der archaischen Struktur der 'Ndrangheta begründet. Auf eine Ehrverletzung muss stets entsprechend reagiert werden. Sie muss also gesühnt werden. Passiert auch nur ein kleiner Fehler eines Clanmitglieds gegenüber einer anderen Familie, schaukelt sich die Situation hoch. Das ist auch 2007 in Duisburg passiert.

Lokalzeit: Aber warum in Duisburg und nicht in Italien?

Mattioli: Hintergrund der Tat von Duisburg war eine ganze Reihe gegenseitiger Morde in Italien. 2006, also ein Jahr zuvor, sollte der Boss des Nirta-Strangio-Clans ermordet werden. Es gab einen Anschlag auf ihn, doch dabei ist nicht er gestorben, sondern seine Frau. Das provozierte eine heftigere Gegenreaktion. Die ist in Duisburg erfolgt, wo etliche Mitglieder beider Familien leben und arbeiten.

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Die Geschäfte der Mafia in Deutschland

Lokalzeit: Warum ist die italienische Mafia ausgerechnet in Duisburg ansässig und aktiv?

Mattioli: Die italienische Mafia ist nicht nur in Duisburg ansässig. Sie ist in ganz Deutschland vertreten, im Norden wie im Süden, in der Stadt und im kleinen Dorf. Es gibt für Duisburg und einige andere Städte aber eine Besonderheit. Dort wurden sehr früh Arbeiter aus Italien angeworben. Ab Mitte der 1950er-Jahre sind viele Leute aus ärmeren Gegenden Italiens nach Deutschland gekommen. Darunter waren eben auch Mafiosi.

Lokalzeit: In welchen Branchen ist die 'Ndrangheta in Deutschland tätig?

Mattioli: Das ist nicht so einfach zu beantworten. Die Behörden erfassen zwar die kriminellen Geschäfte der Mafia, etwa Eigentumsdelikte, Steuerdelikte oder Geldwäsche. Doch über ihre legalen Tätigkeiten, wo sie auch ihre Hände mit im Spiel hat, gibt es kaum eindeutige Beweise. Meine Recherchen ergaben allerdings, dass die Mafia in Immobilien investiert, mit deutschen Banken komplexe Finanzgeschäfte organisiert oder auch Kontakte in die Müllbranche in Deutschland hat. Im Grunde ist jede Geschäftstätigkeit für die 'Ndrangheta interessant, wenn sie Profite abwirft. Daher kann man kein Gewerbe ausschließen, wo die Mafia nicht aktiv sein könnte.

Lokalzeit: Was macht es für die Ermittlungsbehörden so schwer, die Machenschaften der italienischen Mafia zu unterbinden oder Mitglieder aufzudecken und festzunehmen?

Mattioli: Es gibt Listen mit Personen, die zur Mafia gehören oder eine Nähe zu ihr haben. Doch es ist schwierig, diese Leute strafrechtlich zu belangen. Die Organisation begeht seit 2007 in Deutschland kaum Morde und agiert nur selten gewalttätig. Daher ist leider auch der politische und gesellschaftliche Druck nicht sehr hoch, gegen sie vorzugehen. Wenn mehr politischer Wille da wäre, härter gegen die Mafia vorzugehen und die Abläufe im Hintergrund aufzudecken, gäbe es schnell Ermittlungserfolge. Davon bin ich überzeugt. Denn grundsätzlich gibt es eine Vielzahl von Informationen über die Mafia-Machenschaften in Deutschland.