
Landwirt liebt Mann: Queeres Leben auf dem Land
Rhein-Sieg-Kreis | Landwirtschaft
Stand: 18.05.2025, 15:01 Uhr
Michael Kaufmann ist Landkind durch und durch. Der 30-Jährige lebt in einem kleinen Dorf in der Nähe von Much im Rhein-Sieg-Kreis und züchtet dort mit großer Leidenschaft Kühe. Vor fünf Jahren spürt er, dass er nicht nur Frauen liebt. Und damit verändert sich sein Leben.
Von Katja Stephan
Eine Dating-App und ihre Folgen
Die Kühe heben neugierig ihre Köpfe, als Michael Kaufmann den Weidezaun öffnet. "Kommt, ihr Süßen!", ruft er ihnen fröhlich zu. Der Landwirt trägt braune Arbeitsschuhe und eine kurze Hose. Mit seinen fast zwei Metern Körpergröße wirken die Kühe neben ihm beinah klein, als sie sich langsam nähern. "Das muss jetzt schnell gehen, sonst gehen sie nicht auf den Hänger." Mit lautem und energischem Rufen treibt er die Rinder auf den bereitgestellten Anhänger. Jeder Handgriff sitzt, die Tiere folgen ihm bereitwillig.
Nur zwei Minuten später schließt Kaufmann die Ladeklappe und lächelt erleichtert. Gleich wird er die Kühe auf eine andere Weide fahren. Doch vorher will er erzählen, wie es ist, als bisexueller Mann auf dem Land zu leben. Dort, wo jeder jeden kennt. Und warum es für ihn keine Option ist, vom Dorf in die Anonymität der Großstadt abzutauchen.
Alles begann, als er vor fünf Jahren über eine Dating-App einen Mann kennen und lieben lernte. Zum ersten Mal in seinem Leben. Kaufmann ahnte, dass das in dem 300-Seelen-Dorf, in dem er geboren und aufgewachsen ist, schnell die Runde machen würde. Und entschied sich zu einem radikalen Schritt.
Coming-out im Kuhstall
Lokalzeit: Erinnerst du dich noch an den Moment, als du gespürt hast, dass du dich auch zu Männern hingezogen fühlst?
Michael Kaufmann: Das kam nicht von jetzt auf gleich. Es war eher ein fließender Prozess. Ich konnte schon immer sagen, wenn ich einen Mann attraktiv fand. Und irgendwann gab es da eine Person, bei der ich gemerkt habe: Die finde ich nicht nur attraktiv, da ist mehr.
Lokalzeit: Du hast dich dann entschieden, diese Gefühle nicht geheim zu halten. Wie war das, darüber zu sprechen?
Kaufmann: Obwohl wir ein sehr gutes Verhältnis haben, hatte ich schon großen Respekt davor, es meinen Eltern zu erzählen. Ich habe es deshalb erstmal meiner Cousine erzählt. Sie war die Erste, die es erfahren hat. Danach habe ich es meiner besten Freundin und einigen anderen Freunden erzählt. Sie haben alle gesagt, dass sich für sie nichts ändert. Und da war für mich klar, dass ich auch mit meinen Eltern ohne Bedenken drüber sprechen kann.
Lokalzeit: In welcher Situation war das?
Kaufmann: Natürlich im Kuhstall, wo sonst. Wir waren gerade beim Melken, meine Eltern und ich. Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich so etwas gesagt wie: Ich bringe am Samstag oder Sonntag Besuch mit. Ich habe jemanden kennengelernt. Aber wundert euch nicht, es ist ein Mann.

Der Kuhstall: Für Michael Kaufmann ein wichtiger Ort
Lokalzeit: Wie haben deine Eltern reagiert?
Kaufmann: Meine Mutter hat nur gesagt: 'Endlich ist es raus.' Sie hatte sich das offenbar schon gedacht.
Lokalzeit: Wie ging es dir danach?
Kaufmann: Ich war total erleichtert. Und dankbar, dass ich so eine tolle Familie habe, die hinter mir steht. Das ist überhaupt nicht selbstverständlich. Da kenne ich ganz andere Geschichten. Nach dem Gespräch mit meinen Eltern habe ich auch beschlossen: Ich stelle das mit meiner neuen Partnerschaft auch direkt bei Facebook ein.
Lokalzeit: Das muss ein großer Schritt für dich gewesen sein. Warum hast du das gemacht?
Kaufmann: Ich dachte, dann gibt es das ganze Getratsche hintenrum nicht. Es haben auch manche gefragt, ob ich einen Scherz mache. Aber ich habe gesagt: Das steht da so, wie es ist. Ich wollte auch rausgehen mit der Person und das nicht geheim halten müssen. Oder Angst haben müssen, dass man mich sieht. Ich wollte mein Leben leben.
Zwischen Dorfidylle und Kölner Partymeile
Lokalzeit: Kannst du dich noch an negative Reaktionen erinnern?
Kaufmann: Es gibt Einzelfälle im Bekanntenkreis, die distanzieren sich. Zumindest kommt mir das so vor. Nach dem Motto: Ich spreche besser nicht mit dem. Nachher werde ich auch noch schwul oder der denkt, ich will was von dem.
Lokalzeit: Verletzt dich das?
Kaufmann: Ich glaube, viele wissen einfach nicht, wie sie damit umgehen sollen. Natürlich verletzt es mich ein wenig, wenn Menschen aus meinem näheren Umfeld sagen, dass sie mich nicht kennen, wenn andere Freunde dabei sind. Die sich aber gleichzeitig gut mit mir allein unterhalten können. Da habe ich mir aber mittlerweile eine dicke Kuhhaut zugelegt.
Lokalzeit: Du bist ja hier in deinem Dorf total verwurzelt, bist hier aufgewachsen und hast immer hier gelebt. Gleichzeitig hast du durch deine Beziehungen auch das Leben in Köln kennengelernt. Wie war das für dich?
Kaufmann: Mein erster Partner wohnte in einem 20-Parteien-Haus in Köln am Rudolfplatz. Ich hab in den ganzen Jahren nur einmal einen Nachbarn im Flur gesehen. Da kennt keiner den anderen und es ist den Leuten tatsächlich egal, wer du bist oder was du bist. Dagegen ist es auf dem Dorf viel intimer. Da kennt jeder jeden und da wirst du ganz anders bewertet als Mensch.
Lokalzeit: Klingt, als wäre das queere Leben in der Stadt um einiges einfacher.
Kaufmann: Ich kenne tatsächlich einige Menschen, die ganz bewusst vom Land in die Stadt gezogen sind. Auch, um noch mehr in der queeren Community unterwegs sein zu können. Das Dorf ist im Bereich Sexualität, ohne das negativ zu meinen, Jahre zurück. Das hält sicher manche davon ab, sich auf dem Land zu outen.
Lokalzeit: Hast du mal überlegt, in die Stadt zu ziehen und die Landwirtschaft aufzugeben?
Kaufmann: Ich kann mir das nicht vorstellen. Allein schon, weil ich meine Kühe nicht mitnehmen kann. Ich bleibe hier und wem es nicht passt, der hat Pech. Ich habe hier meine Wurzeln, ich bin hier im Dorf aufgewachsen und mich kriegt hier auch keiner vertrieben. Diesen Versuch hat allerdings zum Glück auch noch niemand gestartet.
Ein Traum wird wahr
Lokalzeit: In deinem Dorf ist ja eher das Gegenteil der Fall. Immerhin wird es hier nächstes Jahr beim traditionellen Erntefest eine große Veränderung geben.
Kaufmann: Genau. Unsere Familie ist eng mit dem Fest verbunden. Wir sind jedes Jahr dabei und meine Eltern waren auch schon mal Erntepaar. Nach 25 Jahren hat das nächste Mitglied der Familie das Vorrecht, diese Rolle zu übernehmen. Und ich hab immer gesagt, dass ich das unbedingt machen will. Und deswegen wird es 2026 das erste gleichgeschlechtliche Erntepaar geben.

Ein Leben ohne seine Kühe - das kann Michael Kaufmann sich nicht vorstellen
Lokalzeit: Wie leicht war es, die Dorfgemeinschaft davon zu überzeugen?
Kaufmann: Mir war es wichtig, das Dorf als erstes darüber zu informieren, dass ich die Rolle gern mit meinem Freund übernehmen möchte. Und es gab wohl auch Diskussionen, habe ich gehört. Aber vor einigen Wochen kam die Nachricht, dass die Dorfgemeinschaft und auch der Ernteverein, der das Fest ausrichtet, einverstanden sind.
Es freut mich natürlich, dass der Ort mitzieht und auch die frühere Generation komplett offen ist. Die Tradition und das Brauchtum zu leben und in die Fußstapfen der Eltern zu treten, und das mit einem Partner an der Seite, das ist mir total wichtig.
Lokalzeit: Was würdest du anderen Menschen raten, die Angst haben, sich zu ihrer Sexualität zu bekennen?
Kaufmann: Erstmal ist es wichtig, sich selbst so zu akzeptieren, wie man ist. Und dann tastet man sich einfach langsam vor. Ich finde, es machen sich viel zu viele Leute Gedanken darum, was andere über sie denken. Ich finde, wenn man lieben kann und lieben lernt und in eine Person verliebt ist, dann ist das doch ein großes Geschenk. Ich wünsche mir noch viel mehr Toleranz und Respekt in der Gesellschaft, egal ob in der Stadt oder auf dem Land.