Es läuft leise Musik, die Frauen strecken und dehnen sich beim Yoga. Bei den einen klappt das besser, bei den anderen schlechter. Man merkt, hier geht es mehr um Entspannung und weniger um Sport. Die Frauen kommen alle aus afrikanischen Ländern, einige leben schon Jahrzehnte in Deutschland, andere erst seit Kurzem. Was sie gemeinsam haben: Alle sind von weiblicher Genitalbeschneidung betroffen.
Dabei ist auch Jawahir Cumar. Sie hat den Verein "Stop Mutilation Deutschland" vor 30 Jahren gegründet. Die 48-Jährige wurde selbst in ihrem Heimatland Somalia als Kind beschnitten. Der Yogakurs ist nur eines der Angebote des Vereins für Frauen, die von Genitalbeschneidung betroffen sind.
25 Prozent der Mädchen und Frauen sterben an den Folgen
Mit ihrem Einsatz gegen weibliche Genitalbeschneidung begann Cumar nach einem Besuch in ihrem Heimatland Somalia. Dort wurde sie Zeugin der Beerdigung eines 8-jährigen Mädchens. Das Kind war nach einer Beschneidung gestorben. "Das hat mich nicht losgelassen, dass jeden Tag kleine Mädchen sterben." Laut der Menschenrechtsorganisation "Terre des Femmes" sterben rund ein Viertel der betroffenen Mädchen und Frauen entweder während der Genitalverstümmelung oder an den Folgen. Mädchen vor der Beschneidung zu retten und betroffenen Frauen zu helfen, ist Cumars Ziel.
Jawahir Cumar erklärt, warum auch Mädchen in Deutschland in Gefahr sind. 00:30 Min.. Verfügbar bis 20.05.2027.
Bei der Beschneidung in den Heimatländern der Frauen werden bei Mädchen die äußeren Genitalien teilweise oder komplett entfernt - ohne jede medizinische Notwendigkeit und unter häufig katastrophalen hygienischen Bedingungen. Die auf Englisch genannte "female genital mutilation" (FGM) hat oft heftige psychische und körperliche Folgen für die Frauen. Vor allem in Afrika, aber auch im Mittleren Osten und Asien wird die Beschneidung praktiziert, meist aus kulturellen Gründen. In Deutschland leben schätzungsweise 100.000 Betroffene.
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Fehlende Aufklärung bei vielen Ärzten
Eine Betroffene, die bei "Stop Mutilation Deutschland" Hilfe gefunden hat, erzählt von ihren Erfahrungen. Sie möchte anonym bleiben, wir dürfen sie Karima nennen. Karima ist in Deutschland aufgewachsen und hat lange nichts davon geahnt, dass sie als Kind beschnitten wurde. Sie kannte ihren Körper nicht anders, erzählt sie, und auch die Spannungsgefühle, die sie regelmäßig hatte, waren normal für sie: "Ich war in regelmäßiger gynäkologischer Behandlung, und das wurde bei mir nie diagnostiziert, weil man es eben nicht kannte. Weil die Ärzte es nicht kannten." Erst eine Vertretungsärztin äußerte den Verdacht, dass sie beschnitten wurde.
Karima holte sich eine zweite Meinung bei Agata Romanski-Ordas, der Gynäkologin des Vereins. Sie bestätigte den Verdacht. Je nach Grad der Beschneidung werden den Mädchen Teile der Klitoris und Vulvalippen beschnitten oder komplett entfernt und zuweilen wieder zugenäht. Die Gynäkologin zeigt Zeichnungen von den unterschiedlichen Formen, darunter eine, bei der die Frau komplett zugenäht wurde - bis auf ein winzig kleine Öffnung. Romanski-Ordas hat sich auf die weibliche Genitalbeschneidung spezialisiert. Sie bemängelt, dass viele ihrer Kollegen sich mit dem Thema nicht auskennen: "Was wir nicht kennen, können wir leider auch nicht erkennen." Daher organisiert sie gemeinsam mit dem Verein auch regelmäßig Fortbildungen für Ärzte.
Tradition der Unterdrückung
Die weibliche Beschneidung ist eine jahrhundertealte, brutale Tradition, die von den Vereinten Nationen (UN) als Menschenrechtsverletzung anerkannt ist. Oft hat sie schlimme Folgen für die Frauen, wie zusätzliche Schmerzen bei der Regelblutung, Probleme beim Wasserlassen und Komplikationen bei der Geburt.
Karima ist wütend, dass ihr als Kind dieses sinnlose Prozedere angetan wurde. Sie sucht das Gespräch mit ihrer Familie und erfährt, dass sie als Vierjährige bei einem Urlaub im Heimatland beschnitten wurde: "Ich verlor viel Blut, woraufhin man dann beide Beine zusammengebunden hatte. Dadurch sind die Vulvalippen verklebt und zusammengewachsen." Ihr konnte mit einer kleinen Operation geholfen werden, bei der die Vulvalippen wieder getrennt wurden. Seitdem geht es ihr besser. Die Spannungsgefühle, die sie unterbewusst immer belastet haben, sind weg, und sie beschreibt sich selbst seitdem als viel ausgeglichener.
Das hat Karima gedacht, als sie von ihrer Beschneidung erfuhr (Stimme verfremdet). 00:36 Min.. Verfügbar bis 20.05.2027.
Auch Töchter von migrantischen Familien, die in Deutschland leben, sind gefährdet, erzählt Cumar. Die Gründerin von "Stop Mutilation Deutschland" berichtet, dass es selbst für Eltern, die hier leben, schwierig sei, sich gegen diese Tradition zu stellen und ihre Töchter nicht beschneiden zu lassen: "Man muss dann mit der Familie brechen, dann hat man keinen Kontakt, und man fliegt auch nicht nach Hause." Für viele Frauen ist der Verein deswegen zur Ersatzfamilie geworden. Die Frauen unterstützen sich gegenseitig, sie weinen zusammen und lachen zusammen, erzählt Cumar. Vor allem seien sie aber keine Opfer, sondern Kämpferinnen, sagt sie.
Über dieses Thema haben wir auch am 01.04.2025 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit aus Düsseldorf, 19.30 Uhr.