Annika Witteler sitzt im Rollstuhl in ihrem Wohnzimmer.

Nach Corona nie wieder gesund: das Leben mit ME/CFS

Hochsauerlandkreis | Füreinander

Stand: 16.05.2025, 06:27 Uhr

Schon Laufen ist für Annika Witteler aus Brilon eine Herausforderung. Sie leidet an dem chronischen Fatigue-Syndrom ME/CFS - einer schweren Folge von Corona. Ihr Alltag: Schmerzen, Erschöpfung, Schwierigkeiten beim Denken. Wie die 30-Jährige trotzdem kämpft für Anerkennung und ein Leben trotz Krankheit.

Von Anke Bösenberg

Langsam schleppt sich Annika Witteler zu ihrem Rollstuhl und lässt sich hineinsinken. Dann rollt sie den Flur entlang. Die 30-Jährige wohnt bei ihren Eltern in Brilon. Allein könnte sie den Alltag nicht bewältigen. Ihre Mutter hilft ihr beim Duschen, Haarewaschen, eben bei allem, das Kraft kostet. "Ich habe Dauerschmerzen im Körper, mein Kreislauf schwankt, ich habe Kälteschübe und dann plötzlich Fieber. Ich fühle mich, als wären 100 LKW über mich gefahren. Als wäre mein Körper Matsche." Die Ursache für ihr Leid: Corona.

Chronisches Fatigue Syndrom: Doppelt so viele Betroffene durch Corona

Witteler war gegen das Coronavirus geimpft, trotzdem erwischt sie die Infektion mit voller Härte. Ihr Leben wird ein anderes. Sie hat Symptome, die sie nicht einordnen kann. Lange weiß sie nicht, warum es ihr so schlecht geht. Auch ihre Hausärztin kann ihr nicht helfen. Schließlich findet sie einen Arzt, der erkennt, was sie hat: ME/CFS - Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom. Eine bis heute unheilbare Krankheit, die laut Deutscher Gesellschaft für ME/CFS oft zu schwerer körperlicher Behinderung führt.

Annika Witteler will anderen Betroffenen eine Stimme geben

00:23 Min. Verfügbar bis 15.05.2027

ME/CFS tritt häufig nach einer Infektionskrankheit auf und gilt als schwere Form von Post-Covid. Vor der Corona-Pandemie waren in Deutschland schätzungsweise 250.000 Menschen betroffen, so die Gesellschaft für ME/CFS. Durch die Pandemie habe sich die Zahl laut Experten verdoppelt. ME/CFS war lange kaum bekannt - selbst unter Ärzten. Das macht den Weg zur Diagnose und passenden Behandlung für viele Betroffene bis heute lang und mühsam.

Post-Covid-Betroffene fühlen sich alleingelassen, sagt Witteler. "Ich bin sehr dankbar, dass ich überhaupt eine Diagnose bekommen habe und dass meine Erkrankung einen Namen hat. Das macht es leichter, damit umzugehen. Viele haben keine Diagnose und es geht ihnen nicht gut damit. Ich habe sie mir selbst erkämpft, auch wenn das nicht einfach war."

Leben mit ME/CFS: Körper und Kopf machen nicht mehr mit

Was ME/CFS so tückisch macht: Die kleinste körperliche oder geistige Anstrengung verschlimmert die Symptome, erklärt die Gesellschaft für ME/CFS. Deswegen nutzt Witteler meistens den Rollstuhl. Schon ein Gespräch ist für sie anstrengend. Die größte Herausforderung ist heute, den Interviewtermin mit uns durchzustehen. Denn nicht nur ihr Körper streikt.

Witteler hat auch große Probleme, sich zu konzentrieren. Sie bekommt dann Brain Fog, ein Symptom des Fatigue-Syndroms: Nebel im Hirn. "Ich bin dann völlig neben der Spur. Ich kann mich nicht auf Dinge konzentrieren, ich habe Wortfindungsstörungen. Manchmal denke ich sogar, ich bin dement. Neulich kam ich mir vor wie eine 80-jährige Frau. Dabei bin ich gerade mal 30 Jahre alt." Trotzdem gibt Witteler nicht auf. Gerade hat sie eine ganzheitliche Therapie begonnen. Dazu gehört auch ein Höhentraining, um ihre Leistungsfähigkeit zu steigern. Ob die Therapie helfen wird, ist ungewiss.

Durch den Brain Fog verliert Annika Witteler ihren Gedankengang

00:25 Min. Verfügbar bis 15.05.2027

Zusätzlich tauscht sich Witteler in einer Selbsthilfegruppe mit anderen Betroffenen aus. Die ersten Online-Treffen waren ernüchternd. "Das Erste, was mir andere Betroffene gesagt haben: Ich müsse die Erkrankung akzeptieren und annehmen. Ich arbeite daran, aber es ist noch ein weiter Weg ..." Mitten in ihrer Antwort verliert Witteler den Faden. Sie hat Brain Fog. Es wird zu anstrengend für sie, darum beenden wir das Interview. Aber sie gibt uns noch eins mit auf dem Weg: die Bitte, dass Menschen wie sie ernst genommen und vor allem nicht länger alleingelassen werden.

Über dieses Thema haben wir auch am 02.05.2025 im WDR-Fernsehen berichtet: Lokalzeit Südwestfalen, 19.30 Uhr.